Thalidomid hat eine tragische Geschichte: Es wurde 1957 in Deutschland als Beruhigungsmittel und Hypnotikum eingeführt und weitgehend rezeptfrei als Medikament zur Behandlung der morgendlichen Übelkeit bei Schwangeren vermarktet. In den folgenden Jahren wurden weltweit etwa 10.000 Säuglinge mit Phokomelie oder Gliedmaßenfehlbildung geboren. Nur die Hälfte der Säuglinge überlebte, und einige von denen, die dies taten, hatten zusätzlich zu Gliedmaßenmängeln andere Defekte. Die Thalidomid-Katastrophe veranlasste viele Länder, die Zulassungsvorschriften für Arzneimittel zu verschärfen.
Thalidomid existiert in zwei spiegelbildlichen Formen: Es ist eine racemische Mischung von (R)- und (S)-Enantiomeren. Das in der Abbildung gezeigte (R) -Enantiomer wirkt sedierend, während das (S) -Isomer teratogen ist. Unter biologischen Bedingungen wandeln sich die Isomere ineinander, so dass eine Trennung der Isomere vor der Verwendung unwirksam ist.
In jüngerer Zeit hat sich Thalidomid zur Behandlung von Krebs und Lepra bewährt und ist für diese Anwendungen zugelassen. Aber obwohl mehr als 2000 Artikel über seinen Mechanismus der teratogenen Wirkung geschrieben wurden, wurde dieser Mechanismus erst in den letzten Jahren etabliert. Im Jahr 2010 zeigten H. Handa und Kollegen am Tokyo Institute of Technology, dass sein biologisches Ziel Cereblon ist, eine Komponente eines E3-Ubiquitin-Ligase-Komplexes. Anfang dieses Jahres bestimmten N. H. Thomä und Mitarbeiter des Friedrich-Miescher-Instituts für Biomedizinische Forschung (Basel, Schweiz) die Kristallstruktur von Thalidomid, das an Cereblon gebunden ist, wodurch sie den Mechanismus charakterisieren konnten.
Thalidomid war auch das Molekül der Woche für den 17.Mai 2010.